Programm

«GEN V» – Die neue Blog-Serie von Emeli Glaser. Beitrag 1 – 17.05.2021
Kaugummis und Karpfenbilder

Beginnen soll die neue Blog-Serie «Gen V» über Feminismus und Popkultur mit einem Thema, das nicht nur aktuell ist, sondern ein Dauerbrenner. Ein Thema, das unsere Gesellschaft spaltet: Es geht um Männer. Ein Annäherungsversuch an diese missverstandenen Wesen.

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Text: Emeli Glaser                Illustration: Noon Selina Marrero Julian

 

Sie sind das Kaugummi unter der Sohle des Fortschritts: Männer im 21. Jahrhundert. Bis heute sind Männer die kleinen Sonnenkönige unserer Gesellschaft: Bestimmen dürfen sie über alles, einen besonders guten Job machen sie dabei nicht. Eher einen katastrophalen. Darüber ist man sich einig.

Doch über ein Thema wird bei all der Kritik und Missgunst nicht genug gesprochen: Auf einem Schuhsolen-Kaugummi wird auch herumgetrampelt. Männer leiden selbst unter ihrer Rolle. Zu selten kommt zur Sprache, was das Patriarchat ihnen eigentlich alles antut. 

Wir Feminist:innen wollen helfen. Die Hände reichen, starke Schultern zum anlehnen bieten. Aber um dem geschundenen Geschöpf Mann helfen zu können, muss zunächst Bewusstsein für seine Lage geschaffen werden. Und damit möchte ich heute beginnen, indem ich auf die Ungerechtigkeiten hinweise, die Männern tagtäglich zustoßen. 

 

Leben nach den Gesetzen des Tierreichs

 

Noch ein kurzer Einschub: Wenn ich vom „Mann“ rede, dann meine ich das bemitleidenswerteste aller männlichen Wesen: den weißen, heterosexuellen Mann, der sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihm bei der Geburt zugeteilt wurde. Den weißen Cis-Het-Mann (WCHM).

Stellen Sie sich vor, ihnen wird ihr ganzes Leben gesagt, sie seien nur etwas wert, wenn Sie andere sexuell dominieren. Jungs dürfen in Frauen keine Verbündeten, Respektspersonen oder Freund:innen sehen. Die Eigenschaft, die uns grundlegend zum Menschen macht, wird ihnen verboten: Mitgefühl. Stattdessen lernen sie die Gesetze des Tierreichs. So wie sie es verlernt haben, Frauen als Menschen zu sehen, sind sie auch blind für alles, das außerhalb der Gesetze von Macht und Gewalt existiert. Ihr Gehirn funktioniert, wie jeder Action-Film mit Vin Diesel: Fressen oder gefressen werden. 

Auch einen Sinn für Schönheit dürfen WHCM nicht entwickeln. Anders lässt sich die „Hochglanz“-Sexfilm-Industrie nicht erklären, die Männer mit ihrem Konsum geschaffen haben. Jede:r empfindende Mensch muss sich innerhalb kürzester Zeit von den lieblosen, grell ausgeleuchteten Sets abwenden. Als Frau kann man wenigstens noch erkennen, ob die Pornodarstellerin gerade über ihr Abendessen oder eine Gehaltserhöhung nachdenkt. Der Mann sieht nur eine mechanische Bewegung. Irgendwie sad.

 

Einsame Dominanzmaschinen

 

Noch trauriger: WCHM haben nicht nur keine Beziehung zu ihrem Inneren, auch ihre eigenen Körper sind ihnen fremd.  Es ist ihnen so strikt verboten, sich selbst oder andere Männer schön zu finden, dass sie sich ihr Leben lang nicht trauen, die eigene Klitoris zu benutzen. Denn sie haben besonders schreckliche Angst vor männlichen Polöchern. Prostatamassagen bedeuten aus irgendwelchen irrational-männlichen Gründen Schwulsein. Und Schwulsein bedeutet, aus der Gesellschaft, wie der WCHM sie kennt, verbannt zu werden. 

Schwierig ist es für Männer auch, zu kommunizieren. Sie sollen berechnende Dominanzmaschinen sein. Während andere Leute eine ganze Palette von Emotionen benutzen, um sich mit der Außenwelt auszutauschen, hat ein WCHM nur Wut. Das ist das einzige Gefühl, das er zeigen darf. Es bleibt ihm nichts anderes übrig als Angst oder Zweifel in Wut umzuwandeln. Dann brüllt und schreit er, wie ein hilfloser Säugling, aber niemand kann verstehen, was er braucht. Er kann seine Gefühle weder mitteilen noch selbst deuten. Deshalb ist er einsam.

 

Die schlechteste Literatur kommt von Männern

 

Weil sein Blick die Welt dominiert, hat der WCHM nie gelernt, dass es andere Perspektiven gibt als seine. Frauen, queere Leute und People of Colour sind multilingual. Sie können mühelos zwischen der dominanten Perspektive der WCHM und ihrer eigenen hin und her wechseln. Der WCHM kann nur die eigene Sprache sprechen. Sein Überleben hing nie davon ab, sich andere Perspektiven anzueignen. Alle mussten sich immer an ihm orientieren. Das ist jetzt sein Nachteil.

Wie hilflos er ist, wenn seine eigene Perspektive nicht zählt, sieht man in seiner Benutzung von Dating-Apps. Frauen sind darin geübt, Männern zu gefallen. Sie lernen über Jahre Fotografie- und Make-Up-Techniken und wie sie ihren Körper betonen müssen. Um sich Frauen im Netz zu präsentieren, fällt dem WCHM nichts Besseres ein, als Sportsonnenbrille zu tragen und stolz einen geangelten Karpfen in die Kamera zu halten.

 

Illustration: Noon Selina Marrero Julian

 

Wegen ihrer eingeschränkten Wahrnehmung ist auch die Literatur von WCHM die schlechteste, die es gibt. Logischerweise sind Männer wegen ihres fehlenden Einfühlungsvermögens unfähig, Charaktere zu entwickeln, die ihnen selbst nicht ähneln. Und weil ein WCHM so sehr um sich selbst kreist, liebt er es, seitenlang seine persönlichen Eindrücke aufzuschreiben. Er geht davon aus, das sei für alle Welt von Interesse. Er ist also nicht nur taub und stumm, sondern auch blind für alles, was ihn umgibt. Und das schlimmste ist: Von all dem weiß er nichts.  

 

Lob als Bezahlung 

 

Weil sie auf sich gestellt völlig hilflos sind, fühlen sich Männer berechtigt, von jeder Person zu jeder Zeit umsorgt zu werden. Einen Mann zuhause zu haben, ist für Frauen, wie ein Kätzchen zu halten. Man füttert, entwurmt und beschützt das Kätzchen. Es zerkratzt Möbel, steigt bei der Arbeit auf den Laptop. Schenkt man ihm keine Aufmerksamkeit, macht es auf den Teppich. Stellen Sie sich eine Katze vor, die 80 Kilo wiegt, Sie also mit einem Prankenhieb umhauen könnte. 

Mit Arbeit kann man den WCHM nicht belasten. Er kann sich nur auf eine einzige Sache auf einmal konzentrieren. Andere Menschen führen viele Arbeiten am Tag aus, nebenbei und manchmal gleichzeitig. Die bleiben für den Mann unsichtbar. Er wundert sich nicht, warum es um ihn herum ohne sein Zutun sauber und ordentlich bleibt. Für ihn ist das einfach die Natur der Dinge, so wie die Sonne morgens aufgeht.

 

 

Damit der WCHM etwas erledigt, müssen besondere Anreize geschaffen werden. Das Wohl der Gemeinschaft ist ihm kein Begriff. Er denkt in Status und Gegenleistungen, muss also für selbstverständliche Arbeiten entlohnt werden. In der Regel nimmt er soziale Bestätigung als Bezahlung an. Zum Beispiel überschwängliches Lob. Das Einzige, wofür er sich gut eignet, ist als Spielpartner für Kinder, denn er selbst hat nie die mentale Reife einer Erwachsenen erreicht. 

 

Was das Patriarchat Männern antut ist brutal

 

Irgendwo spürt der WCHM, dass er in den Augen seiner Mitmenschen ein dorniges Pflänzchen ist, das umhegt werden muss. Tief in sich weiß er auch, dass alle anderen ihm weit überlegen sind. Darauf reagiert er mit Gewalt. Das hat bisher immer gut geklappt. Wenn eine Frau sich zum Beispiel im Biergarten zu Politik äußert, ist das ein direkter Angriff auf die Stellung des WCHM. Elegantere Männer begegnen der Provokation, indem sie ungezügelt Wikipedia-Artikel nacherzählen, die sie extra für diesen Fall auswendig lernen. 

Was das Patriarchat Männern antut ist brutal. Es nimmt ihnen alle Fähigkeiten, die sie brauchen, um ein funktionierender Mitmensch zu sein. Vor allem macht das patriarchale Männerbild sie handlungsunfähig in einer Welt, die immer weniger auf sie ausgerichtet ist. Es wird hart für sie, die ganze giftige Männlichkeit zu verlernen. Sollten die WCHM irgendwann bereit sein, helfen wir natürlich gerne dabei. Außer sie zerkratzen das Sofa. Dann gibt es Sprühflasche.

 

Lektüretipp Nummer 1

«Scum Manifesto» von Valerie Solanas, das Buch einer Visionärin, die diesen Text sehr beeinflusst hat.

 

Über die Autorin

Emeli Glaser ist 24 Jahre alt und Journalistin aus Berlin. In deutschen Zeitungen schreibt sie über Dragqueens, Horrorfilme und Frauenhass im Internet. Für Wyborada durchkämmt sie alle zwei Monate Popkultur und soziale Medien nach heißem Shit und berichtet von den neuesten Phänomenen des Zoomer-Feminismus.  Gen(eration) V(ulva) steht genau dafür. Twitter/Instagram