Programm

CARA ROBERTA. / 7.5.2020
Hansjörg an Antonie (I)

Ein Briefwechsel zwischen Unbekannten. Hansjörg Quaderer & Antonie Schneider

Brief 1: wir haben in kurzer vorkorrespondenz verschiedene felder berührt …

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schaan, 6. mai 2020

 

 

liebe antonie schneider,

 

wir haben in kurzer vorkorrespondenz verschiedene felder berührt.

 

die pandemie hat viele, insbesondere künstlerische freiberufler über das verschärfte prekariat hinaus in unmittelbare not gestürzt. die lohnarbeit ist weggebrochen.

zu sagen und zu tun gibt es immer. arbeit geht nicht aus,  vieles gelingt sogar in grosser dringlichkeit besser. aber die lohnarbeit versiegt.

die arbeitsleistung lässt sich nicht mehr verdingen, bleibt einstweilen unvermittelbar, auch wortwörtlich, da keine bühne, keine plattform, kein öffentlicher raum zur verfügung steht.

die öffentlichkeit wurde bis auf weiteres reduziert bzw. plombiert:

machen „geisterspiele» in imaginären treibhäusern oder zirkuszelten sinn?

 

anders betrachtet: die formen der  wirksamkeiten verändern sich, bei virulenter vorhandenheit der eigenen person, der es immer weniger gelingt, lebensmittel zu produzieren.

man lebt nicht von luftwurzeln, lebt nicht vom verschieben, sondern von 1 : 1 eingelöstem stoffwechsel.

es verhält sich paradox. wenn die gering vorhandenen reserven aufgebraucht, zahlt sich trotz gesteigerter produktivität

die präsenz nicht mehr aus.

ausgesetzt, ‚aussätzig‘ geworden, kommt man ‚in die sätze‘; beginnt, weiter zu denken.

es schmerzt, dass leute in sog. risikoberufen unverschuldet in existenzielle not geraten sind.

aber welche berufe sind keine risikoberufe?

welchen ausweg gibt es?

keine(r) der freiberufler gibt sich mit staatlichen almosen zufrieden.

wann, wenn nicht jetzt ist die zeit reif für ein bedingungsloses grundeinkommen?

 

ich gestehe, sehr privilegiert zu sein: meine lebensmittel verdiene ich durch verschiedene (noch krisenfeste) projektarbeiten oder ‚parallelaktionen‘ als ‚funktionär‘,

sporadische einkünfte durch ein buchantiquariat. bin dankbar, dass es so ist.

 

nüchtern beobachte ich: quarantäne ist künstlern und autoren kein fremdwort, es ist schlichtweg die arbeitsbedingung im atelier.

sich isolieren, sich zurückziehen, sich aussetzen in den engsten, eigenen kreis, zu sich kommen, bei sich sein, ist die voraussetzung aller kunst.

«… geh mit der kunst in deine allereigenste enge. und setze dich frei.» schreibt paul celan.

die kunst der engführung lernt man nie genug. wie vertraut auch immer man mit den stimmen in der kunst der fuge.

kunststück: zurückgeworfen auf sich selbst, blättert einer in höchsten realisationen, liest, schaut und hört dinge,

die eine/r liebt, die einem notwendig, wie das atmen.

das kosten von lebenselexier, die sehnsucht nach dingen, die einem heilig sind.

die rückkoppelung zu dem, was eine/r als wesentlich erkennt.

das eintreten in einen strom von selbstvergessenheit.

sich einschreiben, der spur folgen, die man selber wird.

der satz von edmond  jabès, den sie als zusatz am schluss eines briefes hinschrieben, klingt nach.

ich wiederhole ihn:  «als ich, noch kind, zum ersten mal meinen namen schrieb, war mir bewusst, dass ich ein buch begann…»

dem beginnen in der beginnlosigkeit bewusst werden. das aufgreifen von fäden, nachdenken, denken, was bei paul valéry ‚den faden verlieren‘ heisst.

den knoten sehen, in den einer selber geknüpft, die schlaufe, die einen fasst, das gewebe in dem man hineinverwoben.

ich meine, man wird porös und wach, im dialekt heisst es bei uns ‚pluug‘, was dünnhäutig, fragil oder geschwächt bedeutet,

ein unübersetzbares wort.

 

über das unübersetzbare beginne ich nachzudenken und mich in gedanken zu verlieren.

 

ich grüsse sie herzlich ins allgäu, hansjörg quaderer

 

Hansjörg Quaderer (* 1958), lebt als freischaffender Maler und Buchkünstler im liechtensteinischen Schaan. Mitherausgeber des Jahrbuches des Literaturhauses Liechtenstein, organisiert seit 2008 mit Mathias Ospelt die Liechtensteiner Literaturtage.

Seine Briefpartnerin Antonie Schneider (* 1953) ist freischaffende Autorin im Westallgäu und veröffentlicht neben Kinderbüchern auch Lyrik für Kinder und Erwachsene.

Cara Roberta. ist ein Kooperationsprojekt von literatur:vorarlberg netzwerk, Literaturhaus Liechtenstein und Literaturhaus & Bibliothek Wyborada.